Conference – Anderswo im Anderswann: Autofiktion als Utopie (March 21-23, 2018)

Date: March 21-23, 2018

Location: Tagungshotel Schloss, Gnadenthal, Kleve

Organizaton: dr. Yvonne Delhey (Radboud Universiteit), prof. dr. Rolf Parr (Universität Duisburg-Essen), dr. Kerstin Wilhelms (Universität Münster)

Utopie – Thomas Morus dachte sie sich vor 500 Jahren als Insel – die Insel als ein Gegenentwurf zur Gesellschaft. Bei Morus ist sie eine ideale, konfliktfreie Welt, während Gilles Deleuze sie sich, Mitte des 20. Jahrhunderts, eher als einen wüsten Ort vorstellte – allein schon deshalb, weil sie von der übrigen Welt abgesondert ist. Utopie [gr. οὐ und τόπος, ‘nicht’, ‘Ort’], der Nicht-Ort. Michel Foucault, Zeitgenosse Deleuzes, stellt in seinen Überlegungen zu ‘anderen Räumen’ den Gegenwartsbezug der Utopie heraus, was ihn dann konsequenterweise zur Formulierung der Heterotopien bringt. Es ist dieses kritische Potenzial der Utopie, das Denker wie Jean Jacques Rousseau oder Karl Marx und Friedrich Engels nutzten, um die literarische Gattung der utopischen Erzählungen stärker politisch auszurichten. Karl Mannheim brachte es auf den Satz: “Utopisch ist ein Bewußtsein, das sich mit dem es umgebenden ‘Sein’ nicht in Deckung befindet”. Damit beginnt im Grunde das Ende der Verzeitlichung der Utopie, wie sie am Beginn der Moderne mit Romanen wie ‘Das Jahr 2240’ (1771) von Louis-Sébastian Mercier aufkamen. Die aktuelle Utopieforschung hat sich schon lange von idealisierten Zukunftsvisionen verabschiedet und diskutiert Utopie (u.a.) als ‚Impuls’, ‚Methode’ oder ‚Bewusstsein’. Wie aber muss man sich ein solches Bewusstsein, das sich nicht in Deckung mit dem Realen befinden will, vorstellen? Wie entwirft es sich selbst, wie inszeniert es sich, wie stellt es sich dar? An dieser Stelle berühren sich Utopie- und Autobiographieforschung.

Mit dem Fokus auf die Utopie kommt das Imaginäre, Visuelle und Fantastische in den Blick, dass die Autobiographie von der Autofiktion unterscheidet. ‘Autofiktion’ adressiert im Gegensatz zur an Authentizität und Wahrhaftigkeit ausgerichteten Auffassung von Autobiographie das fiktionale Moment literarischer Selbstentwürfe: “Fiktion strikt realer Ereignisse und Fakten”, so definierte Serge Doubrovsky den Begriff, der sich inzwischen in der aktuellen Autobiographiedebatte etabliert hat. Entscheidend für die Behandlung der Autobiographie als Utopie dürfte des Weiteren die Konstitution des Ichs im Medium sein. Die neuere Autobiographieforschung hat dafür den Begriff der ‘Automedialität’ geprägt. Mit diesem Begriff wird der Fokus auf die mediale Begründung des Selbstentwurfs gelegt, der zwar zumeist, aber keinesfalls ausschließlich, im Medium der Schrift vollzogen wird. Dabei sind die verschiedenen Medien Grundlage unterschiedlicher autobiographischer – oder besser noch: autofiktionaler – Artikulationsmodi, die jeweils unterschiedlich geformte Selbstbilder hervorbringen. Die Tagung fragt vornehmlich nach dem Utopischen dieses autofiktionalen Selbstentwurfs und möchte damit Licht werfen auf das Imaginäre, das Fantastische aber auch auf die gesellschaftskritischen Gegenwartsbezüge des Selbstentwurfs.

 

MITTWOCH, 21.03.2018
12.00 Uhr       Ankunft in Gnadenthal
13.00 Uhr        Mittagessen
14.00 Uhr        Begrüßung und Einführung (Y. Delhey, R. Parr, K. Wilhelms)

Utopische Autofiktionen
14.15 Uhr        Christian Sieg (Münster) Schamfreiheit und Aufrichtigkeit. Zu einer utopischen Figur und operativen Fiktion autobiografischen Schreibens von Johann Casper Lavater bis Bernward Vesper
15.00 Uhr        Zoya Brumberg (Texas) Looking Forward: On Socialism and its Aesthetic Discontents

15.45 Uhr        Kaffeepause

Utopische Autorfiktionen
16.15 Uhr        Franziska Mader (Frankfurt/M): „Ich bin ja nicht Hesse, sondern war Sinclair“ – Das Heteronym als utopische Auto(r)fiktion
17.00 Uhr        Sandie Attia (La Réunion): „In den Gedichten verstecke ich mich“: Günter Eichs poetische Selbstentwürfe

DONNERSTAG, 22.03.2018

Utopische Zeit/Räume in der Autofiktion
09.30 Uhr       Kerstin Wilhelms (Münster): Childhood as Utopia. Vladimir Nabokov’s Speak Memory
10.15 Uhr        Barbara Winckler (Münster): Utopia – Heterotopia – Writing- Between-Worlds: Physical and Metaphorical Spaces and Dynamics in Zeina Abirached’s Autofictional Graphic Novels
11.00 Uhr        Kaffeepause
11.30 Uhr        Rolf  Parr (Duisburg-Essen): Utopische und autofiktionale Elemente in Texten der 68er-Schriftsteller: Uwe Timm, Peter Paul Zahl, Friedrich Christian Delius
12.15 Uhr        Lena Crucitti (Brüssel): In a „cosy state of  suspension“: Nostalgia as a lethal utopian space in Kazuo Ishiguro‘s Never Let Me Go (2005)
13.00 Uhr       Mittagspause

Das Utopische des autofiktionalen Körpers
15.00 Uhr        Marcella Fassio (Oldenburg):  „[…] dem eigenen Leben wie einem Roman zu Leibe zu rücken […]Autopathographisches Schreiben als utopischer Selbst-Entwurf  in Wolfgang Herrndorfs Blog Arbeit und Struktur
15.45 Uhr        Steffie Pragt (Nijmegen): Transgressing Bodies – The Female Body and Environment in Feminist Dystopia
16.30 Uhr        Kaffeepause
17.00 Uhr        Christian Moser (Bonn): Nostalgie und Utopie in den autobiographischen Texten Jean-Jacques Rousseaus

FREITAG, 23.03.2018

Autofiktionales Theater und Utopie
09.30 Uhr        Eva Stubenrauch (Bonn): „Zugleich Chronist und Utopiker“ – Milo Raus Globaler Realismus als poetologischer Selbstentwurf
10.15 Uhr        Yvonne Delhey (Nijmegen): Provokation als Kunst: Jonathan Meese und die Oper Mondparsifal
11.00 Uhr        Kaffeepause

Automedialität und Utopie
11.30 Uhr        Tobias Schwessinger (Jena): „Ich bin das andere, das mich bewohnt.“ Foto-lyrische Selbstentwürfe einer Kindheit zwischen
Autofiktion und Utopie
12.15 Uhr        Ingrid Bertrand (Brüssel): Anytime but Now, Anywhere but Here: The Future and Past as Subversive Counter-Utopias in Margaret Atwood’s The Handmaid’s Tale (1985) and its 2016 television adaptation
13.00 Uhr        Mittagspause
14.00 Uhr        Ricarda Menn (Frankfurt/M): Elsewhere yet Nowhere – John  Burnside’s Autofictions
14.45 Uhr        Abschlussdiskussion: Ausblick und Perspektiven
15.00 Uhr        Kaffeepause

16.00 Uhr        Abreise

No conference fee; please contact the organisers if you want to participate. For accommodation please contact the Tagungshotel.

Contact: dr. Yvonne Delhey (Radboud Universiteit Nijmegen; y.delhey@let.ru.nl); prof. dr. Rolf Parr (Universität Duisburg-Essen; rolf.parr@uni-due.de); dr. Kerstin Wilhelms Westfälische Wilhelms-Universität Münster; k.wilhelms@uni-muenster.de).

Venue: Tagungshotel Schloss Gnadenthal, Gnadenthal 8, 47533 Kleve, phone. 02821-29080, email: schloss@gnadenthal.de; http://www.gnadenthal.com/